Eingeführt im Jahre 1941 werden heute, fast 80 Jahre später, luxemburgische Immobilien immer noch fast gleich besteuert wie zur Zeit des zweiten Weltkriegs. Auch die nunmehr seit Jahrzehnten anerkannte, aber nicht angegangene, nationale Wohnungskrise konnte hier leider nicht für das nötige politische Umdenken sorgen.
Es war wie so oft in der luxemburgischen Politik: die Angst vor der eigenen Courage stand im Weg – bis jetzt.
Neue Grundsteuer für mehr Gerechtigkeit!
In seinem letzten Buch forderte der 93-jährige frühere deutsche Wohnungsbauminister Hans-Jochen VOGEL eine „neue Bodenordnung“, denn, so seine feste Überzeugung, „nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar“. VOGEL argumentiert und belegt, dass der enorme Anstieg der Baulandpreise über die letzten Jahrzehnte die Hauptursache für die Explosion der Wohnkosten in Deutschland ist.
Eine Analyse die auch auf Luxemburg zutrifft. So steht in der Publikation des Observatoire de l’habitat von April 2020: „la hausse des prix des logements trouve son origine principale dans la hausse des prix des terrains à bâtir“ [1]. Zwischen 2010 und 2019 sind die Preise für Bauland in Luxembourg um 83,3 % gestiegen. Zur gleichen Zeit sind die Baukosten nur um 19,7 % gestiegen.[2]
Oft steht in Luxemburg die Forderung der Erweiterung des Bauperimeters als Antwort auf diese Zahlen im Raum, um somit neues Bauland zu erschließen; in der puren Hoffnung die Preise so zu stabilisieren. Politisch wäre dies nicht nur die mutloseste, sondern vor allem auch im Sinne der Allgemeinheit die falsche Entscheidung!
2.846 Hektar Bauland gibt es aktuell in Luxemburg[3]. Ein Drittel davon sind sogenannte „Baulücken“[4], bei denen größtenteils einzig und alleine der Wille des Eigentümers fehlt, um dringend nötige Wohnungen entstehen zu lassen. Aber warum diese Eigentümer zur Erschließung drängen, anstatt einfach neues Bauland auszuweisen?
Eine Erschließung dieser „Baulücken“ dämmt eine weitere Zersiedlung des Landes ein und ist unumgänglich für den Erhalt von Natur-und Landwirtschaftsflächen; da unser Wohnanspruch auch mit anderen landverbrauchintensiven Aktivitäten harmonieren muss. Außerdem sind bei Erschließung dieser Baulücken keine größeren Straßen– oder Infrastrukturarbeiten von Nöten; dies bedeutet wiederum Effizienzgewinne in Punkto Betriebs- und Unterhaltungskosten, was wiederum der Allgemeinheit, also uns allen, zugutekommt.
Zwischen 2010 und 2016 ist das verfügbare Bauland um 145 Hektar gestiegen (+5 %)[5]. Trotz dieser Erweiterung des Angebots an Bauland stiegen die Preise in derselben Zeitspanne um +50 %. Kostete das Ar um Luxemburg Stadt im Jahr 2010 noch um die 133.200 Euro sind es 6 Jahre später bis zu 200.000 Euro / Ar[6]; wohl gemerkt, handelt es sich hierbei nur um eine Wiese ohne Immobilie auf der gebaut werden kann. Diese, wenn auch kleine Erweiterung des Bauperimeters hatte somit absolut keine Auswirkung auf die Preise des Baulandes, die weiterhin nur eine Richtung kennen: schnurstracks nach oben.
Fraglich wäre auch ob eine massive Ausweitung im Interesse der Allgemeinheit wäre und vor allem ob diese überhaupt eine Auswirkung auf die Preise hätte. Welche Auswirkungen hätte eine massive Ausweitung des Bauperimeters und eine daraus resultierende Zersiedlung des Landes auf die schon angespannte, wenn nicht katastrophale, Verkehrslage? Wäre im Endeffekt eine solche Ausweitung nicht vor allem ein erneuter Geldsegen für dieselben Besitzer, denen heute schon der Großteil der 2.846 Hektar Bauland gehört; also nichts anderes als ein weiterer Brandbeschleuniger für die gesellschaftlichen Ungleichheiten?
Verrückte Besitzverhältnisse
Die Besitzverhältnisse des luxemburgischen Baulands sind äußerst ungleich verteilt. 159 Personen besitzen ¼ des luxemburgischen Baulandes (das im Besitz von natürlichen Personen ist)[7]. Vor allem in der Stadt Luxemburg gehört das Bauland einigen wenigen: 63 % des Baulandes, im Wert von 3,8 Milliarden Euro, gehört in der Hauptstadt einem kleinen Konsortium von Großgrundbesitzern und ihren jeweiligen Firmen.[8]
Es ist also eine äußerst kleine Gruppe, bestehend aus Erben und Erwerbern, die nicht einmal 1 % der luxemburgischen Bevölkerung ausmachen, die von der enormen Wertsteigerung der Baugrundstücke profitiert. Diese leistungslosen Bodengewinne werden von uns allen finanziert, sei es durch unsere Steuern oder durch die hohen Wohnungspreise, die wir zahlen müssen, um noch hier im Land leben zu können. Diese Wohnungspreise wiederum werden durch das Nicht-Erschließen dieser Grundstücke angefeuert – ein Teufelskreis, bei dem das 1 % immer gewinnt, wir 99 % aber zusehends verlieren.
Alle Grundstücke sind dabei wohlgemerkt unbebaute, aber bebaubare Grundstücke. Deren Mobilisierung ist unumgänglich, wenn wir unsere nationale Wohnungskrise angehen möchten. Luxemburger Boden darf kein reines Anlagegut mit risikoloser Gewinnchance mehr sein; das Allgemeinwohl muss vermehrt berücksichtigt werden.
Anders ausgedrückt: die Politik, also wir, die 99 % die unter diesen Besitzverhältnissen leiden, müssen mit der Grundsteuer gegensteuern!
Die aktuelle Grundsteuer: ein steuerpolitischer Kadaver
Für die Mobilisierung von Bauland ist die Grundsteuerklasse B6 das steuerpolitisch interessanteste Steuerungselement. Die Grundsteuerklasse B6 umfasst bebaubare Grundstücke, die seit 3 Jahren als Bauland ausgewiesen sind, für die also theoretisch eine Baugenehmigung erteilt werden könnte, aber auf denen noch nicht gebaut wurde.
Die Grundsteuer wird aktuell auf der Grundlage von drei Werten berechnet. Zuallererst wird der Einheitswert der Immobilie oder des Grundstücks von der Steuerverwaltung berechnet. Dieser Einheitswert ist aber nicht der aktuelle Marktpreis der Immobilie oder des Grundstücks, sondern wird nach den Wert- beziehungsweise Preisverhältnissen vom 1. Januar 1941 artifiziell errechnet. Selbst für Grundstücke, auf denen heute ein Neubau errichtet wird, muss die Steuerbehörde dessen Einheitswert auf der Basis von beinahe 80 Jahre alten Werten festsetzen. Der Einheitswert wird anschließend noch mit regional differenzierten Messzahlen multipliziert, die auch aus dem Jahre 1968 stammen, bevor die Gemeinde ihren lokalen Hebesatz darauf anwendet.
Einheitswerte, die die ökonomische Realität des Jahres 1941 widerspiegeln, regionale Anpassungen, die aus dem Jahre 1968 stammen, kurz gesagt diese Besteuerung des Grundvermögens ist weder gerecht noch den ökonomischen Realitäten des 21. Jahrhunderts angepasst – sie gehört schnellstens reformiert.
Ein lang erkanntes Problem
Betrachtet man wie oft im Parlament schon über eine mögliche Grundsteuerreform debattiert wurde, kann man nicht mehr verstehen warum immer noch keine grundlegende Reform durchgeführt wurde. Schon im Jahr 2003 stimmten 50 Abgeordnete einem Antrag zu, der die Regierung aufforderte, die Grundsteuer zu reformieren[9].
Um dieser Forderung nachzukommen wurde durch das Gesetz des 22. Oktober 2008 den Gemeinden die Möglichkeit gegeben unbebautes Bauland in die Grundsteuerklasse B6 einzuordnen und so die Besitzer über steuerliche Maßnahmen zum Bebauen zu ermutigen.
Bei der Ankündigung dieses Reformvorhabend skizzierte der damalige Staatsminister Jean-Claude JUNCKER diese zum letzten Rettungsanker in der Wohnungskrise: „Wa mer et fäerdeg bréngen d’Offer u Bauterraine méi grouss an domat d’Bauterraine méi bëlleg ze maachen, da wier ech frou. Wa mer nach eng Kéier scheiteren – Staat a Gemengen zesummen – , da weess ech menger Hänn kee Rot méi“[10].
Die Grundstücke wurden wie zuvor beschrieben nicht billiger, aber hatte diese Reform je das Zeug, um die Lösung zu sein, die die damaligen Politiker in ihr sahen?
Der 2008er Fehlschlag
Der damalige Berater von Jean-Claude Juncker, Jean-Louis SIWECK, erkannte schon einige Jahre vorher die große Schwäche einer Reform die den Großteil der Verantwortung in Sachen Grundsteuer auf die Gemeindeverantwortlichen abwälzt: „ se pose de nouveau la question jusqu’à quel point un élu local se tournera contre ses administrés“[11].
Die Antwort ist ernüchternd. Auch im Jahr 2019, trotz einer sich zuspitzenden Wohnungskrise, haben 24 (von insgesamt 102) Gemeinden des Landes[12] es noch nicht für nötig empfunden eine B6 Grundsteuer einzuführen. Dies sind vor allem kleine Gemeinden, in denen der Draht zwischen Grundstückseigentümer und Bürgermeister enger zu sein scheint als der Einsatz des jeweiligen Bürgermeisters im Kampf gegen die Wohnungskrise.
Nur 10 Gemeinden des Landes haben eine Grundsteuer, die über den Hebesatz von 1.000 Prozent heraus geht. Dabei kann erst ein Hebesatz von über 10.000 Prozent die Eigentümer des brachliegenden Baulandes dazu anregen es zu bebauen.[13]
Als einzig positives Beispiel ist hier die Gemeinde Diekirch zu erwähnen, die ab 2021 ihren Hebesatz für die brachliegende Baugrundstücke auf 15.000 Prozent erhöhen wird. Damit ist die Nordgemeinde, die einzige Gemeinde im ganzen Land, die ihre vorhandenen Steuermaßnahmen endlich dazu einsetzt, um unbebaute, aber bebaubare Grundstücke endlich bebaut werden. Dabei sorgen die Gemeindeverantwortlichen nicht für befremden[14], sondern stellen das Interesse der Allgemeinheit, über das Interesse einer wenigen, die ihr Bauland nicht bebauen – solche mutigen Entscheidungsträger wünscht man sich auf Regierungsposten.
Die 2008er Reform hat also in einer einzigen Gemeinde die erhoffte Wirkung erzielt, und dies auch erst ab kommendem Jahr.
Die 2021er Reform
Eine fundamentale Reform der Grundsteuer wird schon seit Jahren von allen demokratischen Parteien gefordert. Jede Partei und jede Regierung hat es aber – bis jetzt – bei der eigenen hochposaunten Ankündigung belassen. Die Preisentwicklung auf dem luxemburger Wohnungsmarkt verlangt aber jetzt eine Reform der Grundsteuer. Erfreulicher Weise hört man aus dem Innenministerium erste vielversprechende Erfolge[15] und der Finanzminister kündigte die Grundsteuerreform auch schon für 2021 an[16]; aber zeitlich ist alles was nicht Gestern in Kraft getreten ist, schon zu spät, also müssen schnellstmöglich den Worten auch Taten folgen.
Eine Reform bedeutet aber nicht, dass ein Eigentümer auf seine Wohnung – wohlgemerkt in der Einzahl – mehr Steuern zahlen sollte, sondern dass die Grundsteuerabgabe fürs Eigenheim auch in Zukunft unverändert bleibt. Im Gegensatz hierzu muss die Grundsteuer landesweit, mit besonderem Vermerk auf Baulücken, aber auch auf die brachliegenden 2.846 Hektar Bauland, so umgestaltet werden, dass sie den Wertzuwachs des Grundstückes (ca. +7 % im Jahr[17]) auffängt, also die Grundsteuer den Wertzuwachs, den durch das nicht Bebauen entsteht, ausgleicht. Auch hier könnten einzelne Grundstücke, die z.B. für die eigenen Kindern / Enkelkinder angedacht sind, einem verminderten Steuersatz unterliegen. Wichtig ist vor allem, dass die nationalen Politiker den Mut für eine grundlegende Reform aufbringen.
Das Versagen in der luxemburgischen Wohnungspolitik ist parteiübergreifend zu verantworten und dieser Verantwortung muss sich jede Partei stellen. Jetzt muss diese Erkenntnis jedoch Anstoß sein, um im Herzstück unsere Demokratie, im Parlament, erste Wege hin zur Besserung gemeinsam zu begehen!
Eine solche fundamentale Reform, wie die der Grundsteuer, wenn es denn eine geben wird, könnte eine erste beispielhafte überparteiliche Zusammenarbeit im Interesse der Allgemeinheit darstellen, die den luxemburgischen Parlamentarismus nachhaltig stärken würde. Inspiration für ein solches Vorgehen könnte das Parlament in den Worten Willy Brandts finden, der 1974 in seinem Buch „Über den Tag hinaus“ schrieb:
„Es wäre gut, wenn unser Parlament über Parteigrenzen hinweg von Zeit zu Zeit die Courage zur einmütigen Feststellung über gemeinsame Erfolge, aber auch über gemeinsame Versäumnisse deutscher Politik fände.“
Dies gilt sicher für das luxemburgische Parlament und insbesondre auch für die luxemburgische Wohnungsbaupolitik!
[1] LE LOGEMENT EN CHIFFRES, Statec, Ministère du Logement, Observatoire de l’habitat, Numéro 9, April 2020, S. 5.
[2] Idem.
[3] Le potentiel foncier destiné à l’habitat au Luxembourg en 2016, Note 22 de l’Observatoire de l’Habitat, Februar 2019, S. 5 und 6.
[4] Le potentiel foncier destiné à l’habitat au Luxembourg en 2016, Note 22 de l’Observatoire de l’Habitat, Februar 2019, S. 12.
[5] 2010 gabe es 2701 Hektar siehe : Le potentiel foncier constructible théorique au Luxembourg en 2010, Note 18 de l’Observatoire de l’Habitat, Avril 2012, S. 6.
[6] Note 24 de l’Observatoire de l’Habitat, „Les prix de vente des terrains à bâtir en zone à vocation résidentielle entre 2010 et 2017“, Februar 2019, S. 10.
[7] Note 23 de l’Observatoire de l’Habitat, „Le degré de concentration de la détention du potentiel foncier destiné à l’habitat en 2016“, Februar 2019, S.6
[8] „Onze groupes de particuliers et onze sociétés privées détiennent ensemble 63 pour cent des 3,8 milliards d’euros de terrains disponibles“, Antoine Paccoud in „Un cercle vicieux qui créé de l’exclusion sociale“, d‘Lëtzebuerger Land, 8.03.2019.
[9] Unter den 50 Abgeordneten die für diesen Antrag stimmten befanden sich: der zukünftige Innenminister HALSDORDF (2009 – 2013) ; die zukünftigen Wohnungsbauminister SCHANK (2009 – 2013) und NAGEL (2013 – 2015) und der heutige Staatsminister BETTEL (2013 – ).
[10] Déclaration gouvernementale 2. Mai 2006.
[11] Jean-Louis SIWECK, « La chère brique », d’Lëtzebuerger Land, 21. Mäerz 2003.
[12] Arrêté grand-ducal du 6 décembre 2019 portant approbation des délibérations des conseils communaux aux termes desquelles ceux-ci ont fixé les taux multiplicateurs à appliquer pour l’année d’imposition 2020 en matière d’impôt foncier et en matière d’impôt commercial communal.
[13] Peter FEIST, « Luxembourg ist nicht Diekirch », d’Lëtzebuerger Land, 10. Juli 2020.
[14] Nico Müller, « Grundsteuer : Diekirch sorgt für Befremden », Luxemburger Wort, 5. Mai 2020.
[15] Pol REUTER, « Von Grund auf falsch besteuert », Reporter, 24. November 2020.
[16] Pierre GRAMEGNA, 14. Oktober 2020 im Journal auf RTL.
[17] LE LOGEMENT EN CHIFFRES, Statec, Ministère du Logement, Observatoire de l’habitat, Numéro 9, April 2020, S. 5.